Plakatkunst-oder-Werbung

Plakatkunst oder Werbung?

von Prof. Heinz-Jürgen Kristahn

Nur die Avantgarde erreicht ihr Ziel. In der postmodernen Gesellschaft unserer Zeit sind Kunst und Kommerz ein Beziehungsgeflecht eingegangen, das grenzüberschreitend formal wie inhaltlich tagtäglich nach kreativen Lösungen und innovativen Bilderwelten Ausschau hält. Die umfassende Suche von eloquenten Strategen, die in die Ateliers von Designern, Künstlern und Fotografen gehen, strebt nach neuen Bildideen und zukunftsweisenden Visionen. Die allgegenwärtige Präsenz der Massenmedien und ihre selbst hervorgerufene Geschwindigkeit erzeugen in der Öffentlichkeit permanent eine Bilderflut, die sich immer neu beweisen muss. Reale und virtuelle Bilderwelten vernetzen sich zu einem Beziehungsgeflecht, dramatisch und pessimistisch für die einen, kreativ und zukunftsbezogen für die anderen.

Absolut verlässlich scheint nur, dass es Kunst ohne Kommerz und Kommerz ohne Kunst nicht mehr gibt. Kunst ist für Unternehmen zur Unverzichtbarkeit geworden. Umgekehrt ist die Kunst schon lange auf Unternehmen als Sponsor, als öffentlicher Partner angewiesen. Aufgrund dieser Erkenntnis sollte mittelmäßiger Richtungs- und Ziellosigkeit nicht stattgegeben werden. Die Erfolg versprechende Antwort für Kunst und Kommerz kann nur lauten: kompromisslose Bekenntnisse avantgardistischer Positionen beziehen und rückhaltlos verteidigen. Das bedeutet, scheinbare Gegensätze verschmelzen nicht in mittelmäßigen Lösungsversuchen, sondern sie verwirklichen sich in ihren Extremen.

Für Künstler und Unternehmer ist es unumgänglich geworden, ihren eigenwilligen, markanten Charakter zu entwickeln und zu formulieren, zukunftsweisende Ideen zu verfolgen, um dadurch über das Heute weit hinauszudenken. Nur aufgrund dieser Voraussetzungen können sich die vielfältigen Möglichkeiten ästhetisch-avantgardistischer Kommunikation realisieren.

Das Medium Plakat ist in China zu einem bedeutenden Bestandteil der öffentlichen Kommunikation geworden. Rezipienten werden in den großen Urbanisationen wie Peking und Schanghai von einer Vielzahl unterschiedlicher Angebotsformen von Plakaten überrascht. Klassisch geklebte Flächen, durchleuchtete Wände, Megaprints von unermesslicher Größe präsentieren sich in ausgefallener Kommunikation wirkungsvoll und ehrlich im Nutzen. Das Plakat erobert in China einst verlorenes Terrain zurück. Die Kraft der reduzierten Botschaft gekoppelt mit ästhetischer Ansprache und allgegenwärtiger Präsenz verleihen dem Medium seine unvergleichbare Attraktivität, ohne dabei die historische Tradition aus den Augen zu verlieren.

Die Ausstellung in Berlin hat den Anspruch, avantgardistische Plakate aus China vorzustellen. Jedes Plakat für sich stellt ein autonomes Werk dar. Frei von einem globalen Zeitgeist, verdeutlichen die Kreationen eine engagierte chinesische Plakatkunst, dokumentieren ihre Eigenständigkeit, Ausdrucksstärke und Willenskraft. Die Plakate bezeugen die Suche nach neuen Chancen, Wegen und Möglichkeiten einer human-ästhetischen Bilderwelt. Der Vorausblick auf zukunftsbezogene Inhalte und Kontexte ist ein untrügliches Kennzeichen der Avantgarde – heute mehr denn je.